Share

Vom Kalender zum Konto:

Eine praxisnahe Saison-Strategie für Dow Jones, S&P 500, NASDAQ 100 und DAX

1 | Warum Saisonalität ein nützliches Werkzeug ist – und kein Orakel

Fast jeder Privatanleger hat die Schlag­zeile schon gelesen:

„Der September ist der schlechteste Börsen­monat“

Oder:

„Die Santa-Claus-Rally bringt jedes Jahr kräftige Gewinne“

Solche Aussagen beruhen auf statistischen Durchschnitts­werten, die in den großen Leitindizes immer wieder auftauchen. Doch durchschnittlich bedeutet nicht immer. Saisonale Muster sind Wahrscheinlichkeiten, keine Garantie – aber sie liefern einen entscheidenden Vorteil:

  1. Emotionaler Rahmen – Wer weiß, dass der August historisch oft schwach ist, reagiert ruhiger auf ein kurzfristiges Minus.

  2. Taktische Orientierung – In statistisch starken Monaten (z. B. April, November) lohnt sich ein höheres Marktrisiko eher als in notorisch schlechten Monaten (z. B. September).

  3. Risikomanagement – Drawdowns treten überproportional häufig in bestimmten Fenstern auf (März-Crashs, Sommer­korrekturen). Hedging oder Teil­gewinne lassen sich gezielt dort platzieren, wo die Sturm­wahrscheinlichkeit höher ist.

Der vorliegende Text verdichtet die 20-Jahres-Analysen von:

  • Dow Jones (industriezentriert, Value-lastig)

  • S&P 500 (breiter US-Markt, Basis vieler Weltportfolios)

  • NASDAQ 100 (Tech-Schwergewicht, wachstums­orientiert)

  • DAX (Export­fokussierter europäischer Leitindex)

Daraus entsteht eine mehrstufige Investitions­strategie, die

  • für Einsteiger verständlich bleibt,

  • reale Handels­wege (ETF, Zertifikat, CFD, Future) nennt,

  • Kosten, Steuern, Risiko klar benennt und

  • konkrete Kalender-Checklisten liefert.

2 | Die Essenz der vier Indizes in einer Minute

Index Profil Haupteinflussfaktoren Markierte Saison-Stärken Markierte Saison-Schwächen
Dow Jones 30 Blue-Chips, Dividenden­werte US-Industrie­daten, Dollar­stärke Nov/Dez, April Feb, Juni, Aug
S&P 500 500 Large-Caps, sehr divers Gewinn­saison, Fed-Politik April, Juli, Nov/Dez Sep, Jun, Aug
NASDAQ 100 100 nicht-finanzielle Tech-Giganten Zinserwartungen, Innovation April, Juli, Nov/Dez Sep, Aug, Jun
DAX 40 deutsche Global Player Euro-Kurs, Energie­preise April, Juli, Nov/Dez Aug, Sep, Jun

Merksatz: „Frühling und Jahresende sind Freunde – Spätsommer ist der Feind.“

Damit ließe sich bereits eine Minimal­strategie basteln: nur zwischen November und April investiert sein. Doch wir gehen weiter und kombinieren die vier Indizes, denn ihre Schwankungen korrelieren nicht zu 100 %. Das glättet Drawdowns und steigert die Chance, dass wenigstens ein Teil­portfolio selbst in schwachen Monaten positiv läuft.

3 | Baustein 1 – Die „6-plus-2“-Grundregel

Die Kernidee lautet:

  1. Winter-/Frühlings-Fenster (November – April)

    • Halte 100 % Ziel­gewicht in allen vier Indizes.

    • Verteile dabei dein Risiko:

      • 35 % S&P 500 (Breite)

      • 25 % NASDAQ 100 (Wachstum)

      • 25 % DAX (Europa-Diversifikation)

      • 15 % Dow Jones (Dividenden, Value)

  2. Sommer-Fenster (Mai – Oktober)

    • Reduziere auf 60 % des Winter­risikos (also z. B. nur 60 % Aktien­quote statt 100 %).

    • Umschichtung:

      • 25 % S&P 500

      • 15 % Dow Jones

      • 10 % DAX

      • 10 % NASDAQ 100 (Tech-Risiko im Sommer am höchsten)

Auf diese Weise erhältst du sechs „starke“ Monate mit Vollgas und sechs „schwache“ Monate in reduzierter Gangart – jedoch niemals ein komplettes Marktaus-Timing, das oft in Timing­fallen endet.

4 | Baustein 2 – Der „Monats-Feinschliff“

Frühsommer-Warnsystem (Juni)

  • Regel: Wenn der Juni innerhalb der ersten zwei Wochen > 3 % fällt, wird die Sommer­aktien­quote um weitere 10 % gekappt oder mit kostengünstigen Put-Spreads (mindestens 3 Monate Laufzeit, Strike 5 % unter Spot) gehedgt.

  • Grund: Historisch sind Crash-ähnliche Sommer­bewegungen meist nicht im Mai, sondern im Juni/August gestartet.

Spätsommer-Einstiegs­fenster (September-Früh-Oktober)

  • Regel: Wird der S&P 500 im September ≥ 7 % gegenüber Juli-Hoch gehandelt, lege eine Staffel von drei Nach­kauf­orders bei −7 %, −10 % und −13 % zum Spot an.

  • Grund: Tiefs lagen 2008, 2011, 2022 jeweils in diesem Korridor – wer hier stufen­weise kaufte, partizipierte an Doppel­stellen-Rallys bis Jahresende.

Januar-Reality-Check

  • Regel: Bleibt der erste Börsen­monat > 3 % im Minus, prüfe sämtliche offenen Gewinne des Vorjahres und sichere mindestens die Hälfte ab.

  • Grund: Ein schwacher Januar verdoppelte historisch das Risiko eines Bären­jahres.

5 | Baustein 3 – Produkt­wahl & Handels­plätze

Handels­instrument Vorteil Nachteil Geeignete Plattformen
ETF (z. B. SPY, QQQ, DIA, iShares Core DAX) Kostengünstig, steuerlich transparent, dividen­den­berechtigt Intraday-Hebel fehlt Xetra, Tradegate, NYSE Arca, Nasdaq
CFD Hebel bis 1:20, Long/Short in Sek. Finanzierungskosten, Emittenten­risiko IG, CMC, Plus500, WH SelfInvest
Index-Future (E-Mini S&P, Micro-DAX) Höchste Liquidität, almost 24/5 Komplex, Margin­pflicht Interactive Brokers, Tradovate, CME-Broker
Options-ETF (T-Series, DAXcall) integrierter Options-Overlay Liquidität oft dünn, komplexe Preis­logik Euwax, CME Globex

Für die meisten Privatanleger sind physisch replizierende ETFs ausreichend. Sie können:

  • ab 25 € Sparplan bei z. B. Trade Republic, Scalable, Comdirect

  • oder als Einmalkauf über Xetra, NYSE Arca handeln.

Kosten­check:

  • US-ETF TER: 0,03 % – 0,15 %

  • DE-ETF TER: 0,08 % – 0,16 %

  • Spread US-Handelszeit: meist < 0,03 %.

6 | Konkreter Saison-Fahrplan (Checkliste)

Monat Aktion Basisstrategie Zusätzlicher Feinschliff
Jan Voll investiert Bei < −3 %: 50 % Gewinne absichern
Feb Halten
Mrz Halten Bei Volatilitäts-Spike VIX > 30: Put-Spread
Apr Dividenden & Tax-Refund Push – Top-Monat Gewinne laufen lassen
Mai Auto-Reduzierung auf 60 % Aktien Re-Balance Gewichtungen
Jun Alarm bei < −3 % erstes Juni-Halbmonats­signal Hedge +10 %
Jul Halten (häufig Sommer-Rally) Bei +6 % Gewinn Teil­verkauf
Aug Vorsicht Sommerloch VIX-Call Hedge für 4 Wochen
Sep Watchlist Buy-the-Dip Staffelkäufe bei −7/−10/−13 %
Okt Teilweise Long-Aufstockung Bei VIX < 20 Q4-Hebel-ETF
Nov Volle Aktien­quote Cashquote < 10 %
Dez Laufen lassen, Stopps nachziehen Positionen am 28.–30. Dez prüfen

7 | Risikomanagement in Klartext

  1. Max Drawdown Deckel

    • Definiere, wie viel Prozent deines Gesamt­portfolios du maximal verlieren willst (z. B. 15 %).

    • Nutze Trailing-Stopps auf ETF-Ebene (nicht zu eng: ATR × 2).

  2. Diversifikations-Gebot

    • Vier Indizes streuen schon gut, aber denk an Regionen-Risiko: Ergänze 10 % Welt-ETF (MSCI World) als Puffer, wenn US-Tech und Euro-Industrie gleichzeitig fallen.

  3. Liquiditäts-Reserve

    • Halte im Sommer und besonders vor September mindestens 15 % Cash. Das ermöglicht disziplinierte Nachkäufe, wenn andere verkaufen müssen.

  4. Steuerliche Fallstricke

    • In Deutschland unterliegen ETF-Verkäufe der Abgeltungsteuer (25 % + Soli + ggf. Kirchensteuer).

    • Häufige Umschichtungen erhöhen Steuerlast; langjährige Positionen genießen Teilfreistellung (30 % bei Aktien-ETF, 15 % bei Misch-ETF).

    • Nutze Verlust­verrechungs­töpfe (Sommer-Hedges) bewusst.

8 | Beispiel-Portfolios für drei Risiko­typen

Typ Gesamt­risiko Winter-Allokation Sommer-Allokation Hedge-Instrument
Konservativ 60 % Aktien 30 % S&P, 10 % Dow, 10 % DAX, 10 % NASDAQ 20 % S&P, 10 % Dow, 5 % DAX, 5 % NASDAQ 10 % Anleihen-ETF + Put-Spread
Ausgewogen 80 % Aktien 35 % S&P, 15 % Dow, 15 % DAX, 15 % NASDAQ 25 % S&P, 15 % Dow, 10 % DAX, 10 % NASDAQ VIX-Calls
Chancen­orientiert 100 % Aktien + Hebel 40 % S&P, 20 % NASDAQ, 25 % DAX, 15 % Dow 25 % S&P, 10 % NASDAQ, 10 % DAX, 15 % Dow Micro-S&P Futures / CFDs Short bei Juni-Signal

Praxis­hinweis: Starte konservativ, tracke die Performance vs. Drawdown mindestens ein ganzes Jahr, bevor du mehr Risiko zuschaltest.

9 | Psychologie & Fehlervermeidung

  • Falscher Perfektionismus: Kein saisonales Modell trifft jedes Jahr. Halte dich an Wahrscheinlichkeiten, nicht an Absolutismen.

  • Angst vor verpassten Gewinnen: Wer im Sommer ab und zu eine starke Juli-Rally verpasst, wird versucht sein, das Regelwerk über Bord zu werfen – und tut es dann just im Jahr mit Sommer-Crash.

  • Over-Hedging: Ein Hedge ist Versicherung – zu hohe Prämien (z. B. ständiger Kauf tiefer VIX-Calls) können mehr Rendite kosten als ein gelegentlicher Drawdown.

  • Steueraufschub versus Verlustnutzung: Gewinne zu lange „durchrollen“ spart Steuern heute, kann aber einen Verlust­ausgleich (Carry-back) morgen verhindern. Balance!

10 | Fahrplan zur Umsetzung in fünf Schritten

  1. Wissen verankern

    • Lies die Monats­tabelle laut vor, bis du sie auswendig kennst – so banal es klingt: Dein Bauchgefühl braucht Faktenfutter.

  2. Broker auswählen

    • Für reine ETF-Umsetzungen:

      • DE: Scalable Broker, Trade Republic, Smartbroker (0 €–4 € Order)

      • AT/CH: Flatex AT, Swissquote

      • US/Int.: Charles Schwab, Fidelity

    • Für Futures/CFDs: Interactive Brokers, IG, CMC.

  3. Sparplan + Taktische Order kombinieren

    • Richte einen monatlichen Sparplan ein (z. B. 50 % der vorgesehenen Winter­quote).

    • Lege darüber hinaus Termin­orders für Staffelkäufe in September/Oktober an.

  4. Hedge-Budget definieren

    • Z. B. max. 1 % des Depot­werts p. a. für VIX-Calls oder Put-Spreads.

  5. Journal führen

    • Halte Motivation, Umsetzung, Emotionen schriftlich fest.

    • Notiere wochenweise: „Regel befolgt? Ja/Nein. Wenn Nein – Warum?“

    • Nach jedem Quartal Auswertung: Performance, Risiko, Disziplin.

11 | Abschluss: Drei goldene Regeln

  1. Saisonalität ist eine Landkarte, kein GPS – Der Weg kann gesperrt sein, wenn ein Erdrutsch kommt. Verlasse dich nie allein auf den Kalender, aber nutze ihn als verlässliche Orientierung.

  2. Regeltest schlägt Bauchgefühl – Backtests zeigen, dass reine Jahres­zeiten-Strategien nicht zwingend mehr Rendite als Buy-and-Hold liefern, wohl aber geringere Drawdowns. Der echte Mehrwert entsteht, wenn du Statistik plus fundamentale Einschätzung plus Risikostopps verbindest.

  3. Kostendisziplin = Renditebooster – Spreads, TER, Steuer­effekte entscheiden über Prozent­punkte. Ein ETF mit 0,08 % Kosten ist besser als einer mit 0,60 % – vor allem bei saisonal häufigen Umschichtungen.

12 | Kurz & knapp (für den Kühlschrank)

  1. November–April long & stark; Mai–Oktober defensiv.

  2. Juni & September wachsam – Hedge-Budget bereithalten.

  3. April, Juli, Dezember Gewinne laufen lassen, nicht kleinteilig shorten.

  4. Diversifikation auf vier Indizes glättet Sommer-Stürme.

  5. ETF-Sparplan + taktische Staffelorders = solide Kombination.

Hinweis: Alle Angaben ohne Gewähr, keine Anlageberatung. Vergangene Wertentwicklungen sind kein verlässlicher Indikator für die Zukunft. Investitionen in Aktien­indizes bergen Verlustrisiken bis zum Totalverlust.

Viel Erfolg und Disziplin!
Wer sein Depot konsequent im Rhythmus der Jahreszeiten pflegt, wird zwar nicht jeden Sonnen­strahl erwischen – aber auch selten von Sturm­böen überrascht.

You may also like...

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..