28. Oktober 2025

Kernfusion: Von der Vision zur Wirklichkeit – Japans Helical Fusion und der industrielle Durchbruch in der Supraleiter-Technologie

Die Idee der Kernfusion faszinierte die Menschheit seit über siebzig Jahren. Immer wieder wurde sie als Lösung all unserer Energieprobleme genannt: Ein Kraftwerk, das aus Wasserstoff und anderen leichten Elementen immense Energiemengen ohne CO₂-Ausstoß und mit sehr geringem radioaktiven Abfall gewinnen kann. Die große Vision einer nahezu unerschöpflichen, sauberen und sicheren Energiequellen begeistert Wissenschaftler, Ingenieure und Politiker gleichermaßen. Doch ebenso lange wurde die kommerzielle Nutzung der Fusion als „noch dreißig Jahre entfernt“ beschrieben – ein Ziel, das stets in der Zukunft lag. Nun aber gibt es Anzeichen, dass das Zeitalter der Kernfusion wirklich in greifbare Nähe rückt.

Einer der vielversprechendsten Akteure auf dem globalen Markt ist der japanische Hightech-Startup Helical Fusion. Das Unternehmen sorgte Ende Oktober 2025 für Schlagzeilen: Ihnen gelang es, eine industrielle Hochtemperatur-Supraleiter(HTS)-Magnetspule erfolgreich zu testen – ein Durchbruch, der den kommerziellen Einstieg in die Fusionsenergie enorm beschleunigen könnte.

Der historische Durchbruch: Industrielle HTS-Spule unter harten Reaktorbetriebsbedingungen

Die Kernfusion verlangt enorme technologische Fortschritte in mehreren Schlüsselbereichen. Einer davon ist das Erzeugen und Stabilisieren extrem starker Magnetfelder im Reaktor, um das extrem heiße Plasma – viele Millionen Grad heiß – schwebend zu halten, ohne dass es mit den Reaktorwänden in Kontakt kommt. Hier kommen sogenannte Supraleitermagnete ins Spiel: Sie können enorme Ströme mit nahezu keinem Widerstand leiten, was stabile und effiziente Magnetfelder ermöglicht.

Helical Fusion entwickelte – nach eigenen Angaben als weltweit erstes Unternehmen – eine Supraleiter-Spule industriellen Maßstabs, die den industriellen Reaktorbetrieb simuliert. Getestet wurde diese so genannte HTS-Spule (High Temperature Superconductor) am renommierten Nationalen Institut für Fusionsforschung (NIFS) in Japan.

Die Eckdaten beeindrucken: Die HTS-Spule transportierte stabil einen Strom von gewaltigen 40.000 Ampere bei einer Temperatur von nur 15 Kelvin – das entspricht minus 258 Grad Celsius! Gleichzeitig herrschte im Spulenbereich ein Magnetfeld von 7 Tesla (zum Vergleich: typische MRT-Geräte in der Medizin arbeiten mit etwa 1,5 bis 3 Tesla). Der entscheidende Punkt: Diese industriell gefertigte Spule lief stabil über die gesamte Testzeit.

Der CEO von Helical Fusion, Takaya Taguchi, betonte auf der Pressekonferenz, dass dieses Ergebnis ein Meilenstein für den industriellen Fusionsreaktor sei und den Wettbewerb deutlich voranbringen könnte. Japan sei somit ein ernst zu nehmender Kandidat, die internationale Konkurrenz aus den USA und China beim Rennen zur Fusionsenergie einzuholen bzw. sogar zu überholen.

Zukunftsvision: Von der Testspule zur industriellen Fusionsanlage

Helical Fusion bleibt ambitioniert: Bis zum Ende dieses Jahrzehnts sollen die kompletten Tests aller Komponenten– also weitere Supraleiter, sogenannte „Blanket-“ und Divertor-Module zur Energie- und Wärmerückgewinnung – abgeschlossen werden. Anschließend plant man die Errichtung zweier Demonstrationsanlagen: „Helix HARUKA“ soll die technische Integration und dauerhafte Stabilität des Reaktorkonzepts nachweisen, während „Helix KANATA“ in den 2030er Jahren als Pilotanlage bereits dauerhaft Strom einspeisen könnte.

Das langfristige Unternehmensziel ist klar umrissen: Die Entwicklung eines Fusionsreaktors, der stabil und im 24/7-Betrieb läuft, kontinuierlich einen positiven Energieüberschuss erwirtschaftet (Netto-Energie), und dessen wichtigste Komponenten vergleichsweise einfach gewartet werden können – drei entscheidende Faktoren für marktfähige, kommerzielle Nutzung.

Technologie im Fokus: Der Helical Stellarator und seine Vorteile

Warum entscheidet sich Helical Fusion für einen so genannten „helical stellarator“ als Grundkonzept? Und worin unterscheidet sich dieses Konzept von anderen, etwa dem bekannteren Tokamak, wie es bei ITER in Frankreich erprobt wird?

Stellaratoren – insbesondere der helical Typ – benutzen ein verdrehtes, komplexes System aus Magnetspulen, das das Plasma ohne einen ständig im Plasma selbst erzeugten Strom stabil einschließen kann. Dadurch steigt die Betriebsstabilität, und technische Risiken etwa durch Plasmaausfälle („disruptions“) nehmen ab. Die Helical-Konfiguration bietet rein geometrische Kontrolle über das Magnetfeld, begünstigt also lange und stabile Betriebsepisoden – ein potenziell großer Vorteil im Praktikums-Alltag des künftigen Energieunternehmens.

Helical Fusion und das nationale Forschungsinstitut NIFS (ebenfalls Japan) pflegen seit 2021 eine enge Kooperation in der Weiterentwicklung und Produktion dieser komplexen Technologien. Besonders die Magnettechnik ist das Herzstück der Fusionsforschung – nur mit äußerst stabilen, leistungsfähigen Magneten lassen sich die Bedingungen erreichen, die für eine dauerhaft ablaufende Fusionsreaktion nötig sind.

Finanzierung, Kompetenznetzwerk und internationale Konkurrenz

Die Ambitionen von Helical Fusion werden auch von der japanischen Regierung unterstützt. Im Rahmen des SBIR-Programms („Small Business Innovation Research“) stellte das Bildungs-, Kultus- und Technologieministerium für aktuelle Projekte rund 2 Milliarden Yen bereit – etwa 12,5 Millionen Euro. Premierministerin Sanae Takaichi gilt als glühende Anhängerin der Fusionsforschung und spielte eine zentrale Rolle bei der Einrichtung und Finanzierung dieses Innovationsprogramms. Dennoch gibt CEO Taguchi zu, dass Japan beim absoluten Fördervolumen gegenüber den Rivalen USA und China noch im Hintertreffen ist.

Weltweit laufen derzeit etwa fünfzig ernsthafte Projekte, die an einer steuerbaren, stabilen und wirtschaftlichen Kernfusion arbeiten. Doch nur eine kleine Handvoll – darunter Helical Fusion – verfolgt explizit die drei überlebenswichtigen Kriterien: Dauerhafte Leistung, Netto-Energie und Wartungsfreundlichkeit von Industriekomponenten. Besonders hervorzuheben ist der Mitbewerber Commonwealth Fusion Systems (CFS) aus den USA, ein Spin-Off des renommierten MIT. CFS plant ebenfalls noch in den 2030er Jahren eine eigene kommerzielle Reaktoranlage in den USA.

Ingenieurtechnische Herausforderungen: Vom Labor zur industriellen Praxis

Was bedeutet nun der große Erfolg der getesteten HTS-Spule aus Sicht der Ingenieurwissenschaft? Der technische Direktor von Helical Fusion, Junichi Miyazawa, betonte, dass es sich nicht „nur um einen Laborerfolg“ handelt. Vielmehr markiert das erreichte Niveau für Hochleistungssupraleiter-Magnete grundlegend neue Möglichkeiten bei der Überführung aus der Testumgebung in die industrielle Serienfertigung. Genau dieser Schritt war ein wesentliches Hindernis auf dem Weg zur kommerzialisierbaren Fusionstechnik.

Hochtemperatur-Supraleiter (HTS) sind dabei besonders bedeutsam: Sie funktionieren bei weit höheren Temperaturen als herkömmliche Supraleiter und vereinfachen dadurch das Kühlmanagement im Reaktorbetrieb. Die magnetischen Feldstärken, die durch die neuen Spulen erreicht werden, erlauben kompaktere und leistungsfähigere Reaktoren – eine Grundvoraussetzung für kommerzielle Anlagen, die im Wettbewerb mit heutigen Kohle-, Gas- und Kernkraftwerken bestehen wollen.

Gesellschaftliche Bedeutung: Energie, Klima und globale Wettbewerbsdynamik

Warum ist Fusion so wichtig? Die Gesellschaften rund um den Globus suchen nach Wegen, ihre Energieversorgung sicher, günstig und klimaverträglich zu gestalten. Die Abkehr von fossilen Energieträgern ist beschlossene Sache – doch Wind und Sonne stoßen hinsichtlich Grundlastfähigkeit und Flächenverbrauch an Grenzen. Kernenergie aus Spaltreaktoren ist in vielen Gegenden politisch umstritten und erzeugt langlebige Abfälle.

Fusion könnte all diese Probleme lösen. Der „Brennstoff“ – beispielsweise Deuterium aus Wasser – ist praktisch unbegrenzt verfügbar, die Umweltfolgen sind minimal, und kerntechnische Katastrophen, wie wir sie beim Tschernobyl-GAU oder Fukushima-Unfall erlebt haben, sind beim Fusionsprinzip physikalisch ausgeschlossen.

Die Geschwindigkeit, mit der Unternehmen wie Helical Fusion Technologien weiterentwickeln, entscheidet somit maßgeblich über die zukünftige globale Energielandschaft und internationale Machtverschiebungen im 21. Jahrhundert.

Kernfusion von der Forschung in den Alltag – Aufbruch in ein neues Energiezeitalter

Mit dem Durchbruch der industriellen HTS-Spule hat Helical Fusion ein zentrales Hindernis in Richtung „praktischer Kernfusion“ aus dem Weg geräumt. Noch sind einige technische Hürden zu meistern, doch die Zeichen stehen so günstig wie nie zuvor, dass bereits im Verlauf der 2030er Jahre erste Fusionskraftwerke stabile und saubere Energie liefern könnten. Entscheidend sind nun die Integrationsfähigkeit aller Systemkomponenten, langfristige Zuverlässigkeit und die wirtschaftliche Skalierbarkeit von Supraleiter- und Magnettechnik.

Der Weg von der Vision zur Wirklichkeit bleibt steinig, doch der aktuelle Erfolg zeigt: Das „unerschöpfliche Feuer der Sterne“ – die kontrollierte Fusion – steht vielleicht schon bald am Anfang unseres Alltags.

Technische Zusatzinfos rund um Fusion und Supraleiter für den allgemein interessierten Leser

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