12. November 2025
Risiko am US-Geldmarkt: Wall-Street-Banken warnen vor neuem Liquiditätskrisenzyklus

Risiko am US-Geldmarkt: Wall-Street-Banken warnen vor neuem Liquiditätskrisenzyklus

Der Schatten der Liquiditätskrise kehrt zurück

Die globalen Finanzmärkte erleben turbulente Zeiten, und der US-Geldmarkt steht aktuell wieder verstärkt im Fokus von Analysten, Banken und Investoren. Jüngste Warnungen von Wall-Street-Größen wie Citigroup, Barclays und Bank of America machen deutlich: Die Marktakteure fürchten einen neuen, krisenhaften Zyklus auf den kurzfristigen Finanzmärkten der Vereinigten Staaten. Das Thema wirft Erinnerungen an die Repo-Krise 2019 und die Liquiditätsengpässe während der Pandemie auf – doch die Ursachen und Lösungsansätze sind heute andere.


Was ist der Geldmarkt und warum ist er wichtig?

Der US-Geldmarkt umfasst alle kurzfristigen Finanzierungsinstrumente – insbesondere den sogenannten „Repo-Markt“ (Repurchase Agreements). Hier leihen sich Banken untereinander und mit anderen Marktteilnehmern täglich Billionenbeträge für Stunden oder Tage, oft gegen Sicherheiten wie US-Staatsanleihen.

Diese Infrastruktur gilt als Herzstück der globalen Dollarfinanzierung: Funktioniert sie nicht reibungslos, können Unternehmen und Banken ihre kurzfristigen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr decken, die Kreditvergabe stockt, ganze Märkte drohen zu kollabieren.


Der aktuelle Auslöser: Repo-Stress und Volatilität

In der letzten Oktoberwoche 2025 steigen die Zinsen für sogenannte „Tri-Party Repo“ – ein Indikator für die „Kosten der Nachtfinanzierung“ – zeitweise auf den höchsten Stand seit 2020. Trotz einer Intervention der US-Notenbank Fed und der temporären Stabilisierung des Markts bleibt die Unsicherheit hoch. Marktteilnehmer und Zentralbanker beobachten insbesondere das Risiko plötzlicher Sprünge („spikes“) der Repo-Zinsen. Solche Peaks können das Vertrauen schlagartig erodieren.


Stimmen von den Banken: Krisenwarnung und Interesse am Handeln der Fed

  • Citigroup: Die Repo-Turbulenzen sind kein Einzelfall, sondern Symptom tieferliegender Volatilität. Fachbereichschefin Deirdre Dunn warnt vor Strukturproblemen, die sich bei anhaltender Unsicherheit über Jahre bemerkbar machen könnten.
  • Barclays: Der US-Geldmarkt hat sich noch immer nicht nachhaltig stabilisiert. Analyst Samuel Earl sieht die Notwendigkeit, dass die Fed auf veränderte Finanzierungsbedingungen flexibler reagieren muss.
  • Curvature Securities: Die aktuellen Maßnahmen der Fed wirken zwar beruhigend, doch das „Finanzierungsdruck“ könne Ende November und wieder zum Jahresende zurückkehren.

Die Rolle der Federal Reserve: Kurswechsel und mögliche Reaktionen

Nach drei Jahren restriktiver Geldpolitik und der kontinuierlichen Schrumpfung der Fed-Bilanz durch das „Quantitative Tightening“ droht aktuell eine Liquiditätsverknappung. Präsidenten regionaler Fed-Banken – darunter John Williams (New York) und Lori Logan (Dallas) – räumen ein, dass die Reserven im System inzwischen von „überreichlich“ auf „ausreichend“ geschrumpft sind. Sollte sich der Druck weiter erhöhen, müsse die Fed notfalls durch erneute Anleihekäufe eingreifen: ein klassisches Werkzeug der Krisenbekämpfung.

Analysten aus den Großbanken halten daher eine rasche Rückkehr zu expansiven Maßnahmen – dem „Quantitative Easing“ – für möglich, sollten die Repo-Zinsen weiter steigen und die Marktliquidität weiter austrocknen.


Der Hintergrund: Überschussliquidität und US-Staatsanleihen

Ein entscheidender Faktor ist der massive Umfang der US-Staatsschulden und die Rekordemission von Treasury Bills (amerikanische Staatsanleihen mit kurzer Laufzeit). Die Flut an neuen Papieren erhöht den Konkurrenzdruck im Geldmarkt und zieht Liquidität ab, die bisher im Interbankenverkehr zirkulierte.

Bank of America-Analystin Megan Swiber bemängelt, dass ein „zu aggressives“ Angebot von neuen US-Staatsanleihen die Nachfrage traditioneller Marktteilnehmer übersteigt. Nur die Rückkehr der Fed als aktiver Abnehmer könnte das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage wiederherstellen.


Historische Parallelen und Unterschiede

Die Lage erinnert an die Repo-Krise vom Herbst 2019, als die Zinsen am US-Geldmarkt ebenfalls sprunghaft anstiegen und die Fed zum Handeln zwang. Der Unterschied heute: Während damals massive Cash-Abflüsse und ein technologischer Engpass die Hauptursache waren, ist es jetzt die dreijährige restriktive Zentralbankpolitik, gepaart mit rekordhohen Ausgaben des US-Finanzministeriums und globalen Nachwirkungen der Pandemie.


Die Sicht der Marktteilnehmer: Risiken und Szenarien

  • Zentralbankinterventionen: Wiederholte Eingriffe könnten zum Dauerzustand werden und den Glauben an die Unabhängigkeit der Zentralbank schwächen.
  • Banken: Institutionen müssen sich auf erhöhte Volatilität einstellen, konservativer planen und ihre Liquiditätsreserven stärken.
  • Unternehmen: Unsicherheit bei der kurzfristigen Finanzierung wirft Schatten auf die gesamte Kreditversorgung der Realwirtschaft.
  • Investoren: Plötzliche Zinsanstiege und Stress im Repo-Markt können riskante Spekulationen und Kapitalflucht auslösen.

Politische und wirtschaftliche Implikationen

Die Situation am US-Geldmarkt ist nicht losgelöst von der realwirtschaftlichen Entwicklung. Mit dem Anstieg der Zinssätze steigen die Finanzierungskosten auch für Unternehmen und Konsumenten. Verwerfungen am Geldmarkt können darüber hinaus zu Panikreaktionen und Kurseinbrüchen an den Aktien-, Rohstoff- und FX-Märkten führen.


Ausblick: Was kommt als Nächstes?

Die Banken von Wall Street senden ein klares Signal: Die kommenden Wochen und Monate könnten zur Bewährungsprobe für die Fed und die Marktmechanismen werden. Insbesondere in Phase globaler Unsicherheit, politischer Spannungen und erhöhter US-Schulden ist der Geldmarkt ein möglicher Brandherd für neue ökonomische Krisen.

Ob die Fed erneut mit großangelegten Käufen und Liquiditätsspritzen eingreift, hängt von der weiteren Entwicklung der Repo-Zinsen und der Fähigkeit des Marktes ab, das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage selbstständig zu finden.

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