Ein Diodeffekt in einem Supraleiter – bei 77 Kelvin, ohne Magnetfeld und mit hoher Effizienz: Ein Forscherteam aus China meldet einen Durchbruch, der Quantencomputern und supraleitender Elektronik einen spürbaren Technologiesprung ermöglichen könnte. Die Arbeit erschien in Nature Physics und wird in der Fachwelt als klare Kampfansage an große Player wie Google oder IBM wahrgenommen, die mit milliardenschweren Budgets an ähnlichen Problemen arbeiten.
Worum es geht: Strom nur „in eine Richtung“ – aber ohne Widerstand
Im klassischen Halbleiter versteht jeder Ingenieur den Diodeffekt: In einer Richtung fließt Strom leicht, in der anderen ist der elektrische Durchgang stark eingeschränkt. Diese Asymmetrie macht Dioden zu Grundbausteinen der Elektronik – von Gleichrichtern bis zu Schutzschaltungen.
Das chinesische Team zeigt nun einen vergleichbaren Effekt in einem supraleitenden System, in dem Strom normalerweise ohne Widerstand in beide Richtungen fließt. Entscheidend ist:
- Der „Diodencharakter“ entsteht im supraleitenden Zustand selbst.
- Der Effekt kommt ohne äußeres Magnetfeld aus.
- Die Struktur arbeitet bei Temperaturen oberhalb von 77 Kelvin, also oberhalb der Siedetemperatur von flüssigem Stickstoff.
Genau diese Kombination macht das Ergebnis technologisch interessant.
Kurzer Hintergrund: Warum Supraleitung und Temperatur so kritisch sind
Supraleitung bedeutet, dass elektrischer Strom widerstandsfrei fließen kann, wenn die Temperatur unter eine materialspezifische kritische Grenze fällt. Im Inneren koppeln sich Elektronen zu sogenannten Cooper-Paaren, die sich wie eine einheitliche Quantenflüssigkeit verhalten und nicht mehr an Gitterdefekten oder Schwingungen streuen.
Das Problem:
- Für viele Supraleiter liegt diese kritische Temperatur nur wenige Grad über dem absoluten Nullpunkt.
- Das erfordert teure und komplexe Kühltechnik (Helium-Kryostaten).
Jeder Schritt hin zu höheren Betriebstemperaturen reduziert die Komplexität von Quantenhardware massiv – und damit die Kosten und den Energiebedarf von Rechenzentren.
Der Stand der Forschung: Diodeffekt in Supraleitern – bisher kalt und aufwendig
Der supraleitende Diodeneffekt ist nicht völlig neu. 2020 gelang einem japanischen Team der erste experimentelle Nachweis, dass sich ein asymmetrisches Stromverhalten auch in supraleitenden Systemen realisieren lässt. Seitdem gilt das Thema als heißer Kandidat für zukünftige Quanten- und Low-Noise-Elektronik.
Die Haken bisheriger Ansätze:
- Betriebstemperaturen meist um die 10 Kelvin.
- Häufig war ein äußeres Magnetfeld nötig, um die Asymmetrie zu erzeugen.
- Die „Diodenwirkung“ war in vielen Experimenten relativ schwach.
Für reale Quantenprozessoren, bei denen jede zusätzliche Komplexität in Kühlung und Magnetsteuerung teuer wird, sind das handfeste Hürden.
Der chinesische Ansatz: Verdrillte Kuprate und ein raffinierter Josephson-Kontakt
Das Team um Ding Zhang von der Tsinghua-Universität und der Beijing Academy of Quantum Information Science setzt auf Kuprate – kupferhaltige Oxid-Supraleiter, die seit Jahren zu den Hoffnungsträgern der Hochtemperatur-Supraleitung zählen.
Aufbau der Struktur
Die Forscher:innen:
- nutzen zwei ultradünne „Flocken“ eines kupratbasierten Supraleiters,
- drehen diese Schichten gegeneinander in einem genau definierten Winkel,
- formen damit einen Josephson-Kontakt – zwei supraleitende Regionen, getrennt durch einen winzigen Tunnelspalt.
Über diesen Spalt können Cooper-Paare per Quantentunnelung springen. Der Stromfluss lässt sich äußerst empfindlich steuern – ein Grund, warum Josephson-Kontakte zentrale Bausteine vieler Quantencomputer sind.
Der entscheidende Trick: Asymmetrie per Strompuls statt Magnetfeld
Der besondere Kniff dieser Arbeit liegt darin, wie das Team die gewünschte Asymmetrie erzeugt. Statt mit Magnetfeldern zu arbeiten, die systembedingt zusätzliche Störquellen einführen, setzen die Forscher eine impulsartige Stromanregung ein.
Vereinfacht gesagt:
- Die verdrehten Kuprat-Schichten schaffen eine strukturelle Ungleichheit.
- Durch gezielte Strompulse wird der Josephson-Kontakt in einen Zustand versetzt, in dem die Antwort auf positive und negative Ströme unterschiedlich ausfällt.
Integriert auf einem Chip und unter Mikrowellen-Bestrahlung zeigt der Kontakt ein klares Schaltverhalten:
- In einer Richtung existiert ein stabiler Zustand mit nahezu Null Spannung (supraleitend).
- In der Gegenrichtung tritt ein diskretes, endliches Spannungsniveau auf.
Genau das entspricht funktional einem supraleitenden Diodeneffekt – und das bei Temperaturen von 77 Kelvin und mehr, ganz ohne Magnetfeld.
„Quanten-supraleitender Diodeneffekt“: Warum das mehr ist als nur ein Trick
Die Forscher betonen, dass in beiden Richtungen der Strom von Cooper-Paaren getragen wird. Entscheidend ist also nicht, dass in einer Richtung „guter“ (supraleitender) und in der anderen „schlechter“ (normalleitender, rauschanfälliger) Strom fließt.
Stattdessen:
- Der gesamte Transport bleibt ein kollektiver Quantenprozess.
- Die Asymmetrie entsteht aus der Quantendynamik des Josephson-Kontakts selbst.
Genau aus diesem Grund schlagen die Autor:innen vor, von einem „quantum superconducting diode effect“ zu sprechen. Damit grenzen sie ihr Ergebnis klar von Ansätzen ab, bei denen ein Teil des Stroms zwangsweise in einen widerstandsbehafteten, lärmigen Regime ausweicht.
Für Quantenanwendungen ist dieser Unterschied entscheidend: Weniger klassischer Rauschanteil bedeutet stabilere Qubits und längere Kohärenzzeiten.
Warum das für Quantencomputer so spannend ist
Supraleitende Quantenprozessoren stehen ständig im Kampf gegen jede Form von Störung. Jede unnötige Dissipation – also Energieumwandlung in Wärme oder klassische elektrische Signale – bedroht die empfindlichen quantenmechanischen Zustände.
Der neue Diodeneffekt könnte an mehreren Stellen helfen:
- Richtungsselektive Signalführung: Bestimmte Steuersignale oder Messströme könnten bevorzugt in eine Richtung geleitet werden, Rückkopplungen in empfindliche Bereiche würden unterdrückt.
- Rauschreduktion in Verstärkern und Filtern: Bauelemente, die Signale verstärken oder filtern, könnten mit weniger klassischem Rauschen arbeiten, wenn ihre Kernkomponenten supraleitend und richtungsempfindlich sind.
- Stabilere Bias-Strukturen: Viele Quantenchips brauchen definierte Vorspannungen und Referenzströme. Diodenartige Supraleiter können hier parasitäre Ströme begrenzen, ohne unnötige Wärme zu erzeugen.
Kurz gesagt: Wer supraleitende Dioden bei praxisnahen Temperaturen bauen kann, bekommt ein neues Werkzeug, um Quanten-Schaltkreise gezielt leiser und besser kontrollierbar zu machen.
77 Kelvin: Warum flüssiger Stickstoff ein Gamechanger ist
Die Arbeit des chinesischen Teams spielt bewusst mit einer psychologisch wichtigen Marke: 77 Kelvin ist die Siedetemperatur von flüssigem Stickstoff.
Kühltechnik auf Basis von flüssigem Stickstoff ist:
- deutlich günstiger und einfacher als Helium-Systeme,
- erprobt in vielen Industriezweigen,
- leichter skalierbar für größere Installationen.
Wenn supraleitende Bauelemente zuverlässig bei und über 77 Kelvin funktionieren, öffnet das mittelfristig die Tür für Quanten- und Präzisionselektronik, die nicht mehr in extrem teuren Kryostaten betrieben werden muss.
Der Studienleiter Ding Zhang weist darauf hin, dass die vorgestellte Methodik prinzipiell auf verschiedene Supraleiter übertragbar sein sollte – mit der Hoffnung, dass sich der Diodeneffekt perspektivisch sogar bei Temperaturen von über 100 Kelvin stabil betreiben lässt.
Von der Labor-Demonstration zum Bauteilbaukasten
Noch handelt es sich um einen klar definierten Experimentalaufbau, nicht um eine fertige Produktlinie. Der nächste Schritt besteht darin, die Methode in eine Familie von Bauelementen zu überführen:
- Arrays aus supraleitenden Dioden
- integrierte Module für bestimmte Quantenchip-Architekturen
- standardisierte Layouts für kommerzielle Foundries
Zhang ist optimistisch, dass das Konzept auf eine ganze Reihe kupferbasierter Hochtemperatur-Supraleiter und möglicherweise weitere Materialklassen erweiterbar ist. Gelingt das, könnten supraleitende Dioden künftig so selbstverständlich in Quanten-Layouts auftauchen, wie es heute klassische Dioden in normalen Schaltplänen tun.
Ein Seitenhieb auf die Großen – und eine Einladung an die Community
Der Unterton vieler Berichte ist deutlich: Während Konzerne wie Google und IBM Milliarden in gigantische Quantenroadmaps investieren, zeigen chinesische Forscher mit vergleichsweise schlanken Mitteln, dass entscheidende Bausteine auch aus akademischen Laboren kommen können.
Diese Entwicklung hat mehrere Ebenen:
- Wissenschaftlich: Das Ergebnis bestätigt theoretische Arbeiten zu Josephson-Dioden in verdrehten Hochtemperatur-Supraleitern.
- Strategisch: China unterstreicht seine Ambition, bei Schlüsseltechnologien der Quanten- und Supraleiterforschung ganz vorne mitzuspielen.
- Praktisch: Die Community bekommt ein Konzept, das sich relativ simpel in bestehende Chip- und Prüfaufbauten integrieren lässt.
Für die internationale Forschung bedeutet das: Es gibt ein neues, klar beschriebenes Ziel, an dem sich andere Gruppen messen können – sei es, um den Effekt zu reproduzieren, zu verbessern oder in andere Materialsysteme zu übertragen.
Leisere Quantenchips in Reichweite
Der von Ding Zhang und seinem Team demonstrierte supraleitende Quantendiodeneffekt verbindet mehrere Eigenschaften, die ihn aus der Masse bisheriger Experimente herausheben:
- Betrieb bei und über 77 Kelvin
- kein Bedarf an externen Magnetfeldern
- starker, klar definierter Diodeneffekt
- reiner Cooper-Paar-Transport auch in der „schlechteren“ Richtung
Für Quantencomputing, supraleitende Sensorik und präzise Mikrowellenelektronik ist das ein vielversprechender Ansatz. Sollte es gelingen, den Effekt auf noch höhere Temperaturen und verschiedene Materialsysteme auszuweiten, könnte aus dieser Laborarbeit ein Standardwerkzeug werden – vergleichbar mit der Rolle, die klassische Dioden für die Halbleiterelektronik spielen.
Damit steht eines fest: Der Weg zu robusteren, skalierbaren Quantenprozessoren führt nicht nur über immer mehr Qubits, sondern auch über solche stillen, aber entscheidenden Bauteile, die den Lärm im System weiter nach unten drücken. Genau in dieser Nische hat der neue supraleitende Quantendioden-Effekt das Potenzial, eine Schlüsselrolle zu übernehmen