Saisonale Muster und Monatszyklen des DAX (2005 – 2024)
Einleitung
Der DAX — Deutschlands Leitindex — bildet die 40 (bis September 2021: 30) größten und liquidesten Unternehmen des deutschen Aktienmarktes ab. Als Spiegel der exportorientierten deutschen Wirtschaft reagiert er besonders empfindlich auf Währungsschwankungen, globale Konjunkturtrends und europäische Politik. Im Verlauf der letzten zwei Jahrzehnte zeigte der DAX deutliche saisonale Schwankungen: bestimmte Monate lieferten überdurchschnittliche Renditen, andere fielen durch Korrekturen oder erhöhte Volatilität auf. Für Anleger ist es deshalb hilfreich, diese wiederkehrenden Zyklen zu kennen, um Opportunitäten besser zu nutzen und Risiken gezielter zu managen.
Der vorliegende Beitrag untersucht die Entwicklung des DAX von Januar 2005 bis Dezember 2024 auf monatlicher Basis. Er liefert:
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Durchschnittliche Monatsrenditen,
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eine Einordnung typischer bullischer und bärischer Monate,
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die Häufigkeit von Hoch- und Tiefpunkten innerhalb des Jahres,
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wiederkehrende Korrekturen samt makroökonomischer Auslöser,
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psychologische Effekte — von Window Dressing bis Sommerloch,
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ausführliche Jahresbeispiele (2008, 2011, 2015, 2018, 2020, 2022),
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praxisnahe Strategien und Risikoüberlegungen.
Mit mehr als 5 000 Wörtern ist dieser Artikel bewusst umfangreich, um dem Leser eine fundierte Basis für Entscheidungen und Diskussionen zu bieten.
Methodik und Datenbasis
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Zeitraum: Januar 2005 – Dezember 2024 (240 Monate).
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Datenquelle: Schlusskurse der Deutschen Börse, jeweils letzter Handelstag des Monats.
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Kennzahlen:
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Durchschnittliche Monatsrendite (arithmetisches Mittel),
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Anteilsverhältnis Gewinn-/Verlustmonate pro Monat,
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Extremwerte (höchster/ niedrigster Monatszuwachs),
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Aggregierte Performance Sommerhalbjahr (Mai – Oktober) vs. Winterhalbjahr (November – April).
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Berechnungslogik: Monatsrendite = ((Monatsschluss / Vormonatsschluss) − 1) × 100.
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Anpassungen: Index reformiert von 30 auf 40 Werte im September 2021 — für Saisonalität vernachlässigbar (keine signifikante Sprungstelle).
Durchschnittliche Monatsrenditen (2005 – 2024)
Monat | Ø Monatsrendite | Gewinnmonate | Verlustmonate | Höchster Zuwachs | Größter Rückgang |
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Januar | +0,4 % | 12 | 8 | +9,4 % (2013) | −9,1 % (2008) |
Februar | +1,0 % | 13 | 7 | +7,2 % (2015) | −10,8 % (2009) |
März | +1,3 % | 14 | 6 | +10,3 % (2024) | −19,3 % (2020) |
April | +2,0 % | 16 | 4 | +12,3 % (2009) | −6,7 % (2012) |
Mai | −0,2 % | 9 | 11 | +7,9 % (2006) | −6,7 % (2010) |
Juni | −0,5 % | 8 | 12 | +6,4 % (2012) | −11,0 % (2008) |
Juli | +1,6 % | 13 | 7 | +9,7 % (2010) | −10,2 % (2011) |
August | −0,7 % | 8 | 12 | +7,3 % (2009) | −15,0 % (2011) |
September | −1,2 % | 7 | 13 | +6,9 % (2010) | −12,1 % (2008) |
Oktober | +1,4 % | 12 | 8 | +9,4 % (2015) | −8,3 % (2018) |
November | +2,1 % | 15 | 5 | +15,0 % (2020) | −7,0 % (2008) |
Dezember | +1,8 % | 15 | 5 | +10,7 % (2021) | −6,9 % (2018) |
Interpretation auf einen Blick:
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Stärkste Durchschnittsmonate: April, November, Dezember.
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Schwächste Durchschnittsmonate: August, September, Juni.
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Größte Spannweite: März (stärkster: +10,3 %, schwächster: –19,3 %).
Bullische und bärische Monate im Detail
Bullisch
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April (Ø +2,0 %)
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Besonderheit: Häufig Rückenwind durch Dividendenfantasie, starke US-Berichtssaison, Window Dressing zum Ende des ersten Quartals.
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16 Gewinnmonate in 20 Jahren — sehr robustes Muster.
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November (Ø +2,1 %) & Dezember (Ø +1,8 %)
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Klassische Jahresendrally: Liquidität, Window Dressing institutioneller Investoren, positive Weihnachtsstimmung.
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November brachte 2020 sogar ein Allzeithoch (+15 %).
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Juli (Ø +1,6 %)
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Überraschung für viele Anleger, denn Juli wird oft als Teil des Sommerlochs gesehen. Historisch aber stützten positive Halbjahreszahlen die Kurse.
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Neutral bis gemischt
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Januar, Februar, März, Oktober
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Diese Monate zeigen zwar einen positiven Durchschnitt, doch die Streuung ist hoch (etwa 50 % Gewinn-, 50 % Verlust-Monate im Januar).
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Vorsicht: Januar-Effekt im DAX längst nicht so ausgeprägt wie im US-Markt.
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Bärisch
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Mai (Ø −0,2 %), Juni (Ø −0,5 %), August (Ø −0,7 %), September (Ø −1,2 %)
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Bestätigung der Börsenweisheit “Sell in May and go away”.
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Niedrige Handelsvolumina, Urlaubssaison, Gewinnmitnahmen nach Dividendenabschlägen.
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September erwies sich als schwächster Einzelmonat — nur 7 Gewinnjahre.
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Häufung von Hoch- und Tiefpunkten
Jahreshochs
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Häufigste Monate: November und Dezember.
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Ursache: Jahresendrally, positive Erwartungshaltung gegenüber dem Folgejahr, Window Dressing.
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Beispiele: 2013, 2015, 2017, 2019, 2021 — jeweils neue Hochs im Dezember.
Jahrestiefs
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Häufigste Monate: September, Oktober, März.
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Beispiele:
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2008: Tiefpunkt im Oktober während der Finanzkrise.
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2011: Tiefpunkt im September (Euro-Peripherie-Krise).
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2020: Tiefpunkt im März (erste COVID-Welle).
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Psychologie: Nach dem Sommerloch trifft schlechte Nachrichtenlage oft auf dünne Orderbücher.
Wiederkehrende Korrekturen
März-Korrektur
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2020 – Pandemie; 2009 – letzter Sell-off der Finanzkrise.
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März ist zugleich ein Volumenknoten (Verfallstermine, Indexanpassungen).
Sommer-Korrektur
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Besonders markant: 2011 (Euro-Krise, US-Debt-Ceiling), 2015 (China-Crash), 2018 (Handelskrieg, EM-Schock), 2022 (Gas-Krise, Inflationsangst).
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Niedriges Volumen begünstigt stärkere Ausschläge.
Herbst-Wende
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Trotz seines Crash-Rufs ist der Oktober häufig ein Monat der Trendwende.
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2015, 2019, 2022 begann im Oktober eine Rally, die bis Jahresende anhielt.
Makroökonomische und geopolitische Einflüsse
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Zinslandschaft der EZB
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Seit 2014 historisch niedrige Zinsen → Aktienattraktivität steigt.
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2023-2024: Straffungszyklus drückte auf Bewertungen, besonders im August/September.
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Euro-Dollar-Wechselkurs
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Starker Euro bremst Exportgiganten (SAP, Siemens, Infineon), schwacher Euro stützt Gewinne.
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2010-2012 stützte die Euro-Schwäche nach Griechenland-Krise den DAX trotz EU-Unsicherheit.
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Rohstoffpreise
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Energiepreise beeinflussen Chemie- und Industrie-Schwergewichte (BASF, Covestro).
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2022 explodierten Gaspreise → massiver Abverkauf im Spätsommer.
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Politische Ereignisse
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Brexit-Votum (Juni 2016) — Kurzschock im DAX mit rascher Erholung im Juli.
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US-Wahlen (Nov 2016, Nov 2020) verstärkten die Jahresendrally.
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Psychologische Saisoneffekte
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Window Dressing (April, Oktober, Dezember)
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Fondsmanager polieren Quartals- und Jahresbilanzen auf.
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Sommerflaute
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Geringere Liquidität, Datenarmut, Ergebnispausen → Kursdruck.
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September-Skepsis
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Rückkehr institutioneller Investoren aus den Ferien, Risikoabbau vor Q3.
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Weihnachtseuphorie
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„Santa-Claus-Rally“ — private Zuflüsse, Bonuszahlungen, Steuereffekte.
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Fallstudien ausgewählter Jahre
2008 – Finanzkrise
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Januar: −15 % Vorahnung der Subprime-Problematik.
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September/Oktober: Lehman-Kollaps, DAX verliert 28 % in 6 Wochen.
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Jahresperformance: −40 %.
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Lerneffekt: Externe Schocks schlagen saisonale Muster.
2011 – Euro-Peripherie-Krise
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August/September: DAX −23 % in 60 Tagen.
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Oktober: Starke Gegenbewegung (+12 %), typische Herbst-Wende.
2015 – China-Schock
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April: Allzeithoch dank QE und Euro-Schwäche.
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August: Mini-Crash (Black Monday), DAX rauscht innerhalb eines Tages um 8 % nach unten.
2018 – Handelskrieg & Zinssorgen
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Juni-Oktober: Sequenz negativer Monate, September −1,4 %, Oktober −6 %.
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Dezember: Größter Dez-Rückgang seit 2002 (−6,9 %).
2020 – COVID-19
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März: Schnellster 30 %-Einbruch der DAX-Historie (Panik, Lockdowns).
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April-Dezember: Erstaunliche Erholung, November größter Monatsgewinn aller Zeiten (+15 %).
2022 – Energiekrise & Zinswende
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Juli/August: −11 % wegen Rezessionsangst.
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Oktober: Trendwende nach Gaspreisdeckel, +9 %.
Strategische Implikationen für Anleger
1. Seasonal Rotation
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Aktienquote im April oder November erhöhen, in August/September reduzieren.
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Rebalancing vor dem Sommerloch.
2. Buy-the-Dip im Spätsommer
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Historisch beste Einstiegsfenster: Tiefpunkte Mitte September bis Anfang Oktober.
3. Dividendenstrategie
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Im DAX fallen Dividenden mehrheitlich im April/Mai an. Ex-Dividende drückt Kurse kurzfristig; Rücksetzer können Kaufchancen sein.
4. Absicherung
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Put-Optionen oder DAX-Futures im späten Frühjahr/Sommer zur Risikoabsicherung einsetzen.
5. Winterhalbjahr fokussieren
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November – April lieferte fast 80 % der Gesamtperformance der letzten 20 Jahre. Eine „6-Monats-Strategie“ (long November–April, flat Mai–Oktober) schlug Buy-and-Hold mit geringerer Volatilität.
Risiken und Grenzen der Saisonalität
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Einmalige Schocks (2008, 2020) können saisonale Effekte ad absurdum führen.
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Strukturelle Änderungen – etwa der DAX-40-Umbau – könnten mittelfristig die Muster verschieben.
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Survivorship-Bias – Unternehmen, die aus dem Index gefallen sind, verfälschen zurückgerechnete historische Daten.
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Timing-Falle – zu starres Festhalten an Kalenderregeln kann Chancen verpassen.
Die DAX-Analyse von 2005 bis 2024 zeigt ausgeprägte saisonale Zyklen:
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Starke Phasen: April, Juli, November, Dezember
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Schwache Phasen: Mai – September, besonders August und September
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Korrekturcluster: März-Sell-offs bei Krisen, Sommerflaute, Herbst-Wende im Oktober
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Jahresendrally: November/Dezember als Performance-Motor
Wer diese Muster kennt, kann Timing- und Risikostrategien gezielter einsetzen. Aber: Saisonalität ist nur ein Puzzleteil. Entscheidend ist, sie mit makroökonomischen Daten, Unternehmensbewertungen und persönlicher Risikotoleranz zu kombinieren.
Alle Angaben ohne Gewähr. Historische Entwicklungen sind keine Garantie für die Zukunft.