22. Juli 2025

Dunkler Tourismus: Über 1,8 Millionen Besucher seit teilweiser Öffnung der Geisterstadt Varosha

Die Geschichte von Varosha – Ein einst luxuriöser Badeort wird zum Symbol einer tragischen Teilung

In den 1960er Jahren zählte Varosha zu den schicksten Stadtvierteln von Famagusta an der Ostküste Zyperns. Der elegante Vorort zog Touristen aus aller Welt an, die die luxuriösen Hotels, endlosen Sandstrände und das mediterrane Flair genossen. Bis 1974, als infolge des türkischen Einmarsches auf Nordzypern die Bewohner von Varosha ihre Heimat verlassen mussten – plötzlich und für lange Zeit.

Seit Herbst 2020 sind Teile von Varosha und zwei seiner Strände für Besucher wieder geöffnet, ohne jedoch den früheren Eigentümern ihr Land und ihre Immobilien zurückzugeben. Trotz der strittigen Rechtslage ist die Geisterstadt seither ein Magnet des sogenannten „Dunklen Tourismus“ – einer Form des Reisens zu Orten historischer Tragödien und Konflikte. Innerhalb von viereinhalb Jahren zählte man rund 1,8 Millionen Besucher, die das morbide Flair und die eingefrorene Zeit des verlassenen Ortes erkunden wollten.


Was ist „Dunkler Tourismus“?

Der Begriff „Dunkler Tourismus“ (englisch: dark tourism) beschreibt Reisen zu Stätten, die mit Tragödien, Kriegen, Katastrophen oder menschlichem Leid verbunden sind. Dies können ehemalige Schlachtfelder, Konzentrationslager, zerstörte Städte oder verlassene Orte sein. Ziel ist es oft, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen, ein Bewusstsein zu schaffen oder das Gefühl des Unheimlichen zu erleben.

Varosha hat sich zu einem der bekanntesten Ziele dieser Tourismusform entwickelt – einer Stadt, die über 50 Jahre in einem fast unberührten Zustand des Verfalls verharrte.


Varosha – Die „verbotene Zone“

Heute blickt man auf Varosha, und es ist ein Bild der Kontraste: Während am „gesperrten“ Zaun, der das Gebiet umschließt, Touristen und Badegäste an den Stränden auf der einen Seite sonnenbaden, liegen hinter der Absperrung verfallene Hotels mit zerborstenen Fenstern und verrosteten Kinderspielplätzen. Zwischen überwucherten Straßen und verlassenen Villen erzählt jeder verlassene Raum eine Geschichte von Flucht und Verlust.

Einige Besucher beschreiben Varosha als „verlorene Welt“, eine Art „verstecktes Abenteuer“ im Stil von Conan Doyles „Verlorene Welt“. Pflanzen wachsen hier unkontrolliert, verwildern Gärten und Kirchen, die sich im Dornengestrüpp verlieren. Stromzähler an den Wänden zeigen immer noch die letzte abgelesene Jahreszahl 1974 – der Tag, an dem das Leben abrupt stoppte.


Historischer Hintergrund und politische Dimension

Im August 1974 landeten türkische Truppen auf Zypern und besetzten rund 37 Prozent der Insel, darunter auch Famagusta und den Stadtteil Varosha. Die damals etwa 16.000 Einwohner, vor allem griechisch-zypriotischer Herkunft, mussten ihre Häuser fluchtartig verlassen. Viele hofften, nur wenige Wochen vertrieben zu sein – doch bis heute haben sie keine Rückkehrgenehmigung erhalten.

Die UN-Resolution 550 aus dem Jahr 1984 verbietet ausdrücklich jegliche Besiedlung von Varosha außer durch ihre ursprünglichen Bewohner. Trotz dessen weigerte sich die türkisch kontrollierte „Türkische Republik Nordzypern“ (TRNC) lange Zeit, die Stadt unter UN-Kontrolle zu stellen. Erst im Oktober 2020 wurde ein Teil Varoshas für Besucher geöffnet, zwei Strände sind seit Sommer 2021 nutzbar.


Fakten und Zahlen zu Varosha

  • Im Jahr 1974 gab es in Famagusta 109 Hotels mit rund 11.000 Betten.
  • Varosha beherbergte damals die wohlhabendsten Gesellschaftsschichten Zyperns, inklusive Geschäftsleute aus Nikosia.
  • Einige Hotelzimmer waren bei Touristen aus Großbritannien und Deutschland bis zu 20 Jahre im Voraus reserviert.
  • Heute sind noch etwa 49 Hotels konserviert, viele mit bis zu sechs Sternen klassifiziert.
  • Die Immobilien in Varosha gehören noch immer privaten Eigentümern aus über 20 Ländern.
  • Bis zur teilweisen Öffnung 2020 war Varosha seit über 46 Jahren für die Öffentlichkeit komplett gesperrt.
  • Innerhalb von 4,5 Jahren nach der Öffnung besuchten etwa 1,8 Millionen Menschen die Geisterstadt.
  • Die Gegend ist stark von Verfall, Vandalismus und Plünderungen geprägt – angefangen von türkischen Soldaten bis zu Einheimischen.

Der Eindruck der Besucher

Journalisten und Reisende berichten von einem Ort, der scheinbar in der Zeit stehen geblieben ist: Preise aus den 1970er Jahren auf Ladenfenstern, verlassene Essensteller auf Tischen, Kinderschaukeln mit Rost und eine gespenstische Stille, durchbrochen nur vom Schreien der Möwen oder dem Geräusch der patrouillierenden Soldaten.

Ein Fotograf, der 1977 das erste Mal Varosha besuchte, bezeichnete den Ort als „Stadt, getroffen von einer Neutronenbombe“ – mit zerborstenen Straßen, wucherndem Gestrüpp und einem Geistergefühl, das schwer zu beschreiben ist.


Die Zukunft von Varosha – Rechtliche und politische Unsicherheiten

Die Rückgabe Varoshas an seine ursprünglichen Bewohner ist bis heute ungeklärt. Während die Republik Zypern auf einer vollständigen Rückgabe besteht, hält die türkische Seite an ihrer Kontrolle fest. Die Öffnung für Touristen ohne Rückgabe der Immobilien wurde international kritisiert und als völkerrechtswidrig eingestuft.

Im Jahr 2004 hätte der sogenannte Annan-Plan eine Rückkehr der Einwohner ermöglicht, doch die zypriotische Bevölkerung lehnte diesen Plan in einem Referendum ab.


Statistik zum Dunklen Tourismus

  • Weltweit wächst der Markt des Dunklen Tourismus jährlich um etwa 10–15 %.
  • Über 300 Millionen Menschen besuchen jährlich Stätten des Dunklen Tourismus (UNWTO).
  • Beliebte Ziele sind u.a. Auschwitz (Polen), Tschernobyl (Ukraine), die Atombomben-Gedenkstätte in Hiroshima (Japan) und jetzt auch Varosha.
  • Dunkler Tourismus bringt Herausforderungen für Denkmalschutz, Tourismusmanagement und ethische Fragen mit sich.

Fazit

Varosha ist ein einzigartiges Mahnmal der Geschichte Zyperns – ein Symbol der Teilung, des verlorenen Friedens und der anhaltenden politischen Spannungen. Für Besucher ist es eine eindrucksvolle, wenn auch bedrückende Erfahrung, die zeigt, wie Geschichte, Politik und menschliches Schicksal miteinander verflochten sind. Gleichzeitig wächst das Interesse am Dunklen Tourismus und die Geisterstadt Varosha gehört zweifellos zu den faszinierendsten Orten dieses Reisetrends.

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