13. November 2025
Digitale Krise bei HMRC: Warum Großbritanniens Steuer-IT stockt
IT

Digitale Sackgasse? Die britische Steuerbehörde HMRC und das Dilemma der digitalen Transformation

Milliarden für Digitalisierung – aber wo bleibt der Fortschritt?

Digitale Transformation steht im Zentrum der Modernisierung öffentlicher Verwaltungen weltweit. In Großbritannien investierte die Steuer- und Zollbehörde HMRC (His Majesty’s Revenue and Customs) in den letzten Jahren Milliardenbeträge in die Digitalisierung zahlreicher Verwaltungsprozesse. Doch wie der aktuelle Bericht des National Audit Office zeigt, hält die Realität nicht mit den Erwartungen Schritt. Trotz Technik-Offensive bleibt die Effizienzsteigerung aus und die britische Steuerbehörde steht vor einer grundlegenden Richtungsentscheidung.


Rückblick: Digitalisierungsstrategie und milliardenschwere Investitionen

Zwischen 2024 und 2025 flossen über 1,16 Milliarden Pfund Sterling in die Digitalisierung von HMRC – Geld, das explizit zur Steigerung der Produktivität und Prozessgeschwindigkeit eingeplant wurde. Ziel war eine Effizienzsteigerung von mindestens 15%, etwa durch den Einsatz moderner IT-Systeme, die Automatisierung des Steuerwesens und den Abbau manueller Vorgänge.

Die Vision: Eine vernetzte, skalierbare und hochproduktive Steuerbehörde, die mit Hilfe künstlicher Intelligenz und digitaler Schnittstellen Steuererhebung, Datenmanagement und Kundenservice revolutioniert.


Der Katzenjammer: Warum die Bilanz ernüchternd bleibt

Doch nur zwei Jahre später fällt die Zwischenbilanz ernüchternd aus. Laut HMRC und dem unabhängigen Kontrollbericht des National Audit Office wurde zwar das Geld zielgerichtet eingesetzt – aber die gewünschten Effekte blieben aus. Die Produktivität ist kaum gestiegen, die Prozessgeschwindigkeit stagniert und zentrale Systeme arbeiten weiterhin auf Basis veralteter IT-Infrastruktur.

Ursache laut Experten: Zu viele parallele Projekte, unklare Schnittstellen und nach wie vor ineffiziente Alt-Systeme, die das digitale Fundament schwächen. HMRC muss täglich mit unübersichtlichen und langjährig gewachsenen Strukturen aus „Legacy“-Software und überholten Datenbanken kämpfen.


Fallstrick Altlasten: Die IT-Struktur als Bremsklotz

Eine zentrale Herausforderung ist die Integration und Pflege kritischer IT-Systeme – wie dem National Insurance & PAYE System (NPS), das für Sozialversicherung und die nationale Lohnabrechnung zuständig ist. Die Verwaltung dieser Systeme wurde mehrfach und kostenintensiv durch Verträge mit Großunternehmen wie Accenture und Capgemini verlängert.

Bezeichnend: Trotz milliardenschwerer Investitionen bleibt die Abhängigkeit von Altlasten bestehen. Neue Digitalprojekte werden hinten angestellt, weil der Systemwechsel komplex, teuer und riskant ist. Das Resultat sind hohe Kosten und geringe Flexibilität.


Modernisierung: Hoffnung SAP und künstliche Intelligenz?

Im Mittelpunkt der Reformpläne steht der Wechsel auf eine moderne ERP-Plattform von SAP – mit einem Investitionsvolumen von knapp 366 Millionen Pfund. Ziel ist eine schrittweise Ablösung der alten ECC-Plattform bis spätestens 2030 und die Integration smarter KI-Systeme zur Automatisierung datenintensiver Abläufe.

Diese ambitionierte Modernisierung wird jedoch durch strukturelle Probleme verzögert. Die Komplexität der Datenmigration, der Erhalt der nationalen Datenintegrität und die Sicherstellung stabiler Steuerprozesse zwingen HMRC, die Sanierung langsam und vorsichtig umzusetzen.


Nachspiel und politische Dimension

Um die digitale Transformation doch noch zum Erfolg zu führen, erhält HMRC bis 2029 weitere 1,6 Milliarden Pfund für IT-Modernisierung und Infrastrukturreform. Bereits 300 Millionen Pfund stammen aus dem staatlichen Transformationsfonds, gezielt zur Verbesserung der IT und digitale Dienstleistungsprozesse.

Die britische Regierung setzt auf nullbasierte Budgetkontrollen (Zero-Based Review), mit digital-first-Strategien und intensiver Einbindung von IT- und Datenführern. Doch Experten wie beim National Audit Office warnen: Zusätzliche Mittel allein garantieren keine schnellen Ergebnisse. Die Transformation braucht umfassende IT-Kompetenz, Geduld und ein innovationsfreundliches Mindset der Verwaltung.


Digitale Wirtschaft als Versprechen und Risiko

Das Beispiel HMRC zeigt die zentralen Herausforderungen jeder digitalen Transformation im öffentlichen Sektor:

  • Riesige Investitionen müssen spezifisch und nutzerteilorientiert eingesetzt werden.
  • Die Ablösung und Integration von Altsystemen kosten viel Zeit und erfordern gezielte Fachkräfte.
  • Datenmigration und Cybersicherheit sind anspruchsvoller als bei privatwirtschaftlichen Change-Projekten.
  • Politische Entscheidungswege verzögern oft technische Implementierung und erhöhen die Komplexität.
  • Digitale Ökosysteme benötigen kontinuierliche Anpassung an gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen.

Effizienzsteigerung in der Praxis: Woran hakt es bei HMRC?

Trotz Digitalisierungsstrategie bleibt die Effizienzsteigerung im operativen Alltag von HMRC aus:

  • Steuerprozesse und Datenaustausch laufen häufig noch manuell oder halbautomatisiert.
  • Mitarbeiterschulung und digitale Kompetenzentwicklung sind nicht flächendeckend angekommen.
  • Schnittstellen zu anderen Behörden und externen Dienstleistern sind unzureichend synchronisiert.
  • Die Integration von KI und Automatisierung ist erst in Ansätzen realisiert.

Ausblick: Was muss geschehen, damit Digitalisierung gelingt?

Öffentliche Digitalprojekte wie bei HMRC bieten wertvolle Lehren für andere Organisationen:

  • Klare Projektziele und nutzerzentrierte Planung sind essenziell
  • Transparente Kommunikationswege zwischen IT, Verwaltung und Politik
  • Mut zu „Big Bang“-Migrationen, wo sinnvoll
  • Ständige Weiterbildung der Belegschaft
  • Erfolgsorientierte Vergabe von Modernisierungsaufträgen (statt Kompromisslösungen)

Der internationale Vergleich zeigt, dass Länder wie Estland, Finnland oder Südkorea im digitalen Verwaltungswesen schneller vorankommen – sie setzen auf schlanke, zentralisierte Systeme, schnelle Innovationszyklen und einen konsequenten Datenmanagement-Ansatz.


Fazit: Die digitale Transformation als Dauerprojekt

Die Geschichte von HMRC ist ein Lehrstück für die Herausforderungen moderner Digitalisierung. Trotz reichlich finanzieller Mittel und politischer Rückendeckung sind Strukturwandel, Altsystemintegration und Datenmanagement die zentralen Hürden. Der öffentliche Sektor muss akzeptieren: Digitale Transformation ist ein komplexer, langfristiger Prozess, der von allen Beteiligten Innovationsbereitschaft und Geduld verlangt.

Die Steuer- und Zollbehörde HMRC steht am Wendepunkt. Die nächsten Jahre sind entscheidend, ob die digitale Investitionsoffensive wirklich zu Effizienz, Flexibilität und moderner Verwaltung führt – oder als Beispiel für die Grenzen überdimensionaler Digitalisierung in die Geschichte eingeht.

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