Familie Patzer – unsere Familiengeschichte von Krasnodar bis nach Deutschland
Familie „Patzer“ – unsere Familiengeschichte von Krasnodar bis nach Deutschland
Ein persönlicher Einblick in die bewegte Geschichte einer russlanddeutschen Familie „Patzer“ .
Meine Familie, die Familie Patzer, hat eine lange und bewegte Geschichte, die sich über Kontinente und Jahrhunderte erstreckt. Seit meiner Kindheit höre ich Geschichten über unsere Vorfahren – über Mut und Verlust, Abschied und Neuanfang. Unsere Wurzeln liegen tief in der Vergangenheit, und ein großer Teil dieser Geschichte spielt in Russland: Wir Patzers gehören zu den sogenannten Russlanddeutschen, also den Deutschen, die einst ins Russische Zarenreich auswanderten und Generationen später nach Deutschland zurückkehrten. Besonders im Raum Krasnodar im Süden Russlands hat unsere Familie viele Jahre gelebt. In diesem Blogartikel möchte ich die Geschichte unserer Familie „Patzer“ erzählen – emotional und persönlich – in der Hoffnung, dass vielleicht andere mit dem Namen „Patzer“ oder entfernte Verwandte sich darin wiederfinden.
Wir reisen zurück zu den Anfängen unseres Familiennamens, begleiten meine Vorfahren auf ihrem Weg als Auswanderer ins Russische Reich, erleben ihr Leben als „Patzer’s aus Krasnodar“ im fernen Kuban-Gebiet und teilen die Schicksalsschläge, die das 20. Jahrhundert für sie bereithielt. Schließlich geht es um den Neubeginn unserer Nachfahren der Familie „Patzer“ hier in Deutschland und weltweit. Dieser Weg war nicht immer einfach, doch er hat uns als Familie geprägt und zusammengeschweißt. Ich lade euch ein, mit mir auf Spurensuche zu gehen und unsere Familiengeschichte kennenzulernen.
Die Anfänge: Wo unser Name „Patzer“ herkommt
Jede Familiengeschichte beginnt mit einem Namen. In unserem Fall sorgt der Name „Patzer“ oft für Schmunzeln, denn im heutigen Deutsch bedeutet ein Patzer ein kleiner Fehler oder Ausrutscher. Als Kind fand ich es immer lustig, wenn jemand beim Kennenlernen schmunzelte: „Patzer? Hoffentlich mache ich keinen „Patzer“ bei Ihrem Namen!“ Doch die Herkunft unseres Familiennamens hat nichts mit Fehlern zu tun – sie reicht weit in die Vergangenheit zurück und trägt ein Stück Heimatgeschichte in sich.
Nachforschungen zur Namensherkunft legen nahe, dass der Name Patzer ursprünglich mit einem Ort in Verbindung steht. Namensforscher vermuten, dass „Patzer“ ein Herkunftsname zu einem Ort namens Patzau in Böhmen ist. Tatsächlich taucht unser Name in alten Urkunden schon im 14. Jahrhundert auf – etwa ein „Hans Paczer“ im Jahr 1414 in Mähren – lange bevor unsere Familie im heutigen Sinne existierte. Es fasziniert mich zu wissen, dass unser Familienname so alte Wurzeln hat. Wenn ich „Patzer“ höre, denke ich nicht mehr nur an das deutsche Wort für Missgeschick, sondern daran, dass unser Name vielleicht von einem kleinen böhmischen Dorf stammt, aus dem irgendwann einmal ein Vorfahr oder Namensgeber aufgebrochen ist.
Natürlich liegen diese frühen Ursprünge im Dunkeln und es gibt keine direkten Aufzeichnungen über unsere Familie Patzer in jener Zeit. Dennoch ist klar, dass der Name in verschiedenen Regionen Deutschlands und Mitteleuropas verbreitet war. Im 18. und 19. Jahrhundert lebten Familien mit dem Namen Patzer bereits in Ost- und Mitteleuropa. So stößt man in Ahnenlisten zum Beispiel auf eine Eleonore Patzer, geboren 1828 in Leipzig (Bessarabien), und auf andere Patzers in Preußen oder im heutigen Polen. Solche Funde haben mir gezeigt, dass unser Familienname schon vor über 200 Jahren in den deutschen Siedlungsgebieten im Osten Europas vertreten war.
Man kann sich vorstellen, wie unsere Vorfahren in jenen Jahrhunderten lebten: Vielleicht waren sie Bauern oder Handwerker in irgendeinem schlesischen oder böhmischen Dorf, sprachen einen deutschen Dialekt und führten ein bescheidenes Leben. Irgendwann aber kam ein Wendepunkt – und dieser sollte das Schicksal unserer Familie für immer verändern. Im frühen 19. Jahrhundert standen viele deutsche Familien vor der Entscheidung, ihre Heimat zu verlassen. Nach den Napoleonischen Kriegen und durch Werbekampagnen der Zarenregierung lockte das Russische Reich mit Versprechen von Land, Religionsfreiheit und einem besseren Leben. Auch unsere Vorfahren Patzer fassten offenbar diesen mutigen Entschluss: Sie packten ihre Habseligkeiten und wanderten nach Osten aus, ins Unbekannte.
Russlanddeutsche „Patzer’s“ : Auswanderung ins Zarenreich
Um 1814 begann für viele deutschstämmige Familien die Reise nach Russland – und unsere Familie Patzer war aller Wahrscheinlichkeit nach dabei. Ich stelle mir oft vor, wie schwer dieser Entschluss gefallen sein muss. Da verlassen sie die vertrauten Dörfer Mitteleuropas, verabschieden sich von Verwandten, vielleicht mit Tränen in den Augen, und steigen auf Planwagen, um wochen- oder monatelang gen Osten zu ziehen. Sie folgten dem Ruf der Zarin Katharina der Großen (und ihrer Nachfolger), die Siedler brauchten, um die weiten neuen Gebiete zu bevölkern. Rund 1.700 deutsche Familien wurden in jener Zeit in Bessarabien angesiedelt, das damals zum Zarenreich gehörte, wo sie 1814 und in den Jahren danach etwa 11 deutsche Kolonistendörfer gründeten. Ich stelle mir vor, dass auch unsere Patzer-Ahnen unter diesen Familien waren – voller Hoffnung auf fruchtbares Land an der fernen Schwarzmeerküste.
In der Tat weisen viele Indizien darauf hin, dass ein Zweig unserer Familie sich in Bessarabien niederließ. Bessarabien (das heutige Moldau und Ukraine-Gebiet zwischen Pruth und Dnister) wurde damals vom Zarenreich neu besiedelt, und Namen wie Patzer tauchen in den Kirchenbüchern dieser Region auf. Unsere Vorfahren lebten wahrscheinlich in einem der deutschen Dörfer mit vertrauten Namen wie Leipzig, Tarutino oder Kulm – ironischerweise benannt nach Städten der alten Heimat. Sie waren Bauern und bauten Getreide an, bestellten den fruchtbaren schwarzen Boden der Steppe und versuchten, unter fremder Sonne ein Stück alte Heimat neu zu erschaffen.
Wir „Patzer“ wurden so zu Russlanddeutschen. Das bedeutete, dass meine Ur-ur-Großeltern zwar ethnisch Deutsche waren und daheim Plattdeutsch oder Schwäbisch sprachen, ihre Alltag aber im Russischen Zarenreich stattfand. Sie lebten in Dörfern, in denen man sonntags in der Kirche deutsche Choräle sang, während draußen endlose ukrainische Steppenwinde wehten. Ich kann mir gut vorstellen, wie abends im Schein von Petroleumlampen deutsche Märchen erzählt wurden – kleine Inseln der vertrauten Kultur inmitten eines neuen Landes. Die Russlanddeutschen hatten eigene Schulen und Kirchen und verwalteten ihre Kolonien zunächst weitgehend selbst. Jahrzehntelang ging es vielen von ihnen relativ gut: Das Land war fruchtbar, und Fleiß und Zusammenhalt halfen, sich in der Fremde ein neues Leben aufzubauen.
Doch das Leben bleibt nie stehen. Im Laufe des 19. Jahrhunderts änderten sich die Zeiten erneut. Die russische Regierung hob 1871 viele Privilegien der Siedler auf, und es wurde unruhiger. Einige Familien zogen weiter, suchten erneut ihr Glück an anderen Orten. Auch unsere Familie Patzer blieb nicht für alle Zeit im gleichen Dorf. Innerhalb des Zarenreichs begannen viele Deutsche weiterzuwandern – manche von Bessarabien in neue Siedlungsgebiete im Kaukasus, andere von Polen nach Wolhynien (im heutigen Ukrainegebiet). Bei meinen Recherchen habe ich erfahren, dass bis 1914 über 200.000 Deutsche allein in Wolhynien lebten – auch der Name Patzer ist dort belegt, zum Beispiel im Raum Shitomir. Unsere Familie war Teil dieser großen Wanderungsbewegungen innerhalb Russlands.
Für meine Vorfahren bedeutete das erneut Aufbruch: Diesmal vielleicht nicht mehr mit Ochsenkarren, sondern schon mit der Eisenbahn fuhren sie in entlegenere Winkel des Reiches. Einer dieser Winkel sollte zu einem zentralen Kapitel unserer Familiengeschichte werden – das Kuban-Gebiet im Nordkaukasus, rund um die Stadt Krasnodar.
„Patzer“ aus Krasnodar: Leben im Kuban-Gebiet
Der Name Krasnodar fällt bei uns in der Familie immer wieder, denn dort im Kuban-Gebiet (Nordkaukasus) haben meine Eltern und Großeltern einen großen Teil ihres Lebens verbracht. Wie genau unsere Vorfahren dorthin kamen, darüber gibt es keine schriftlichen Familienaufzeichnungen – aber historische Quellen geben Anhaltspunkte. Um 1870 herum wurden im Raum Kuban neue Siedlungen von Deutschen gegründet. So existierte beispielsweise eine Kolonie namens Markosowka, die in dieser Zeit entstand. In Aufzeichnungen über diese Siedlung taucht tatsächlich auch unser Name auf: Die Familie Patzer wird unter den Siedlern im Kuban-Gebiet erwähnt. Es ist ein seltsames Gefühl der Verbundenheit, wenn ich mir vorstelle, dass Menschen mit unserem Namen vor über hundert Jahren in einem kleinen deutschen Dorf nahe Krasnodar lebten, umgeben von der Weite der nordkaukasischen Landschaft.
Was zog sie dorthin? Vermutlich suchten unsere Vorfahren Patzer dort neues Ackerland, nachdem in ihren alten Kolonien das Land knapp wurde oder Konflikte aufkamen. Das Kuban-Gebiet bot fruchtbare Ebenen und ein mildes Klima – geradezu ideal für landwirtschaftliche Gemeinden. Meine Familie Patzer gehörte also zu den „Kaukasiendeutschen“ im Nordkaukasus, die dort Dörfer gründeten und ihre Traditionen weiterführten. Ich stelle mir gern vor, wie mein Uropa als junger Mann auf die Felder bei Krasnodar hinausging, vielleicht mit Pferd und Pflug, unter der warmen Sonne des Südens. Im Hintergrund könnte man die schneebedeckten Gipfel des Kaukasus ahnen. Es muss ein hartes, aber auch idyllisches Leben gewesen sein: Man baute Weizen, Mais und vielleicht sogar Wein an, traf sich sonntags zum Gottesdienst und sprach zuhause weiterhin Deutsch – möglicherweise mit hessischem oder schwäbischem Einschlag, je nachdem woher die Familie ursprünglich kam.
Meine Großeltern wurden noch in der Region Krasnodar geboren. Sie erzählten uns Kindern später manchmal Anekdoten aus ihrer Jugend: von den heißen Sommern am Kuban-Fluss, vom Duft der reifen Melonen und Kornfelder, und davon, wie die deutschen Familien Zusammenhalt pflegten.
In der Stadt Krasnodar (die früher Jekaterinodar hieß) gingen die Leute auf den Markt, handelten ihre Waren und lebten im Grunde ein Leben zwischen zwei Kulturen. Ich kann mir vorstellen, dass meine Vorfahren stolz darauf waren, Deutsche zu sein, aber ebenso stolz auf ihre Heimat am Kuban. Sie waren Deutsche aus Krasnodar, eine besondere Identität, geprägt von Fleiß, Anpassungsfähigkeit und dem Willen, trotz aller Wanderungen eine Heimat zu schaffen.
Leider sollten diese Jahre der relativen Ruhe und des friedlichen Landlebens nicht ewig währen. Das 20. Jahrhundert brachte Stürme mit sich, die auch über unsere Familie Patzer im Nordkaukasus hereinbrachen. Wenn ich heute darüber schreibe, schnürt es mir die Kehle zu wissen, was meine Verwandten damals durchmachen mussten. Denn die Geschichte der Patzer aus Krasnodar nahm mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs eine dramatische Wendung.
Krieg und Vertreibung: Schicksalsjahre im 20. Jahrhundert
Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, ahnten meine Großeltern wohl, dass harte Zeiten bevorstanden. In den 1930er Jahren hatte das Stalin-Regime bereits begonnen, misstrauisch auf Minderheiten zu blicken. Viele Russlanddeutsche fühlten sich zunehmend unter Druck – man durfte kaum noch Deutsch unterrichten, die Gemeinden wurden vom Staat überwacht. Doch nichts davon konnte sie auf das vorbereiten, was 1941 geschah.
Im Juni 1941 überfiel Hitler-Deutschland die Sowjetunion, und plötzlich galten meine Vorfahren – friedliche Bauernfamilien, die seit Generationen in Russland lebten – als feindliche Ausländer. Allein ihre deutsche Abstammung machte sie verdächtig. Nach dem Überfall der Wehrmacht wurden ab Mitte August 1941 die Russlanddeutschen in der Sowjetunion nach Kasachstan und Sibirien deportiert. Diese schreckliche Wahrheit schlug auch in unserer Familie ein wie ein Blitz: Meine Großeltern, damals noch junge Leute, und ihre Angehörigen wurden gezwungen, innerhalb weniger Stunden ihr Zuhause zu verlassen.
Es muss ein Albtraum gewesen sein. Sie durften nur wenig Gepäck mitnehmen, oft nur das Nötigste. Dann wurden sie auf LKW verladen oder mussten zu Fuß zum nächsten Bahnhof marschieren. Mit Viehwaggons, dicht gedrängt, ging die Fahrt ins Ungewisse. Wochenlang ratterten die Züge gen Osten. Viele Familien Patzer und andere Russlanddeutsche landeten in abgelegenen Gegenden Sibiriens oder in der kasachischen Steppe, tausende Kilometer von der Heimat entfernt.
Dort angekommen, begann die „ewige Verbannung“, wie viele Russlanddeutsche es nannten. Man setzte sie in kleinen Arbeitslagern oder Dörfern aus, oft mit kaum vorhandener Infrastruktur. Hunger, Kälte und harte Arbeit prägten diese Jahre. Viele unserer Verwandten überlebten diese Zeit nicht – die Strapazen waren zu groß. Es gab keine medizinische Versorgung; Krankheiten und Unterernährung forderten ihren Tribut. Wenn ich daran denke, wird mir bewusst, welch unsagbares Leid unsere Familie in jener Zeit ertragen musste. Menschen, die eben noch ein Haus und Hof in Krasnodar hatten, fanden sich plötzlich in Erdbaracken in Sibirien wieder, ohne zu wissen, ob sie jemals zurückkehren dürften.
Für die „Patzer“ aus Krasnodar (und alle anderen Deutschen in Russland) gab es nach 1941 lange keinen Weg zurück. Stalin erklärte uns zu „Sondersiedlern“ – wir durften die zugewiesenen Orte nicht verlassen. Der Krieg ging zu Ende, Deutschland lag in Trümmern, aber auch unsere Leute waren zerstreut in der Weite der Sowjetunion gefangen. Eine Rückkehr in die alte Heimat am Kuban oder nach Wolhynien wurde ihnen verweigert, selbst viele Jahre nach Stalins Tod. Meine Großeltern mussten ihre Jugend in Ural verbringen, obwohl sie mit dem Krieg nichts zu tun gehabt hatten außer der falschen Herkunft. Erst 1955/56, nach einer offiziellen Rehabilitierung, hob man den Sonderstatus auf – doch da war von unseren deutschen Dörfern in Krasnodar kaum noch etwas übrig. Unsere Familie hatte buchstäblich keinen Ort mehr, zu dem sie zurückkehren konnte.
Trotz allem verloren meine Großeltern den Mut nicht. In den Jahren nach der Verbannung versuchten sie, sich in den neuen Orten einzurichten. Sie lernten ein weiteres Mal, Wurzeln zu schlagen – diesmal in Zentralasien. So lebte die Familie „Patzer“ z.B. viele Jahre in einem Stadt Nischny Tagil. Es war eine schwere Zeit, denn obwohl die direkte Verfolgung nach Stalins Ära nachließ, blieben wir eine Minderheit mit der Bürde der Vergangenheit. „Wir wussten, wer wir sind, aber wir durften es nicht zeigen“, erzählte mir mein Vater einmal. Das deutsche Erbe wurde im Verborgenen weitergegeben – in Form von Rezepten, Liedern, vielleicht einem versteckt aufbewahrten deutschen Buch. Jede Erwähnung von Krasnodar oder der alten Heimat musste jedoch vorsichtig geschehen, um keine Aufmerksamkeit zu erregen.
Dennoch: Die Erinnerung lebte. In meiner Familie wurde die Sehnsucht nach der verlorenen Heimat und nach Deutschland wie ein kleiner Schatz gehütet. Meine Großeltern sprachen oft davon, dass wir eigentlich Deutsche sind und eines Tages „nach Hause“ finden würden. Als Kind verstand ich das nicht recht – wir waren doch zuhause, oder? Für meine Großeltern jedoch blieb Deutschland, das Land ihrer Ahnen, immer ein fernes Versprechen. Und dieses Versprechen sollte sich Jahrzehnte später tatsächlich erfüllen.
Nachfahren der Familie „Patzer“ : Heimkehr und Neuanfang in Deutschland
Die Geschichte der Nachfahren der Familie „Patzer“ nimmt in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren eine wunderbare Wendung. In der Sowjetunion brach eine Zeit der Veränderungen an – Glasnost, Perestroika – und plötzlich öffnete sich ein Fenster der Möglichkeit: Nach über vierzig Jahren durften Russlanddeutsche wieder nach Deutschland ausreisen. Seit Mitte der 1980er Jahre machten sich insgesamt rund 2,3 Millionen russlanddeutsche Spätaussiedler auf den Weg nach Deutschland. Meine Familie war eine davon. Ich weiß noch, wie meine Eltern mit klopfendem Herzen die Ausreisepapiere beantragten. Es schien fast unglaublich: Nach all den Leiden durften wir tatsächlich in das Land unserer Vorfahren übersiedeln.
1990 war es für uns so weit. Ich war damals noch klein, doch ich erinnere mich an die Aufregung – an Abschiede von Freunden in Krasnodar, an Kofferbergen. Es waren Tränen der Freude und der Trauer zugleich: Freude, endlich in das „gelobte Land Deutschland“ zu dürfen, und Trauer, die vertraute Umgebung und liebgewonnene Menschen zurückzulassen.
Die erste Zeit in Deutschland war für uns Patzers nicht einfach. Wir kamen in ein Land, das zwar unsere historische Heimat war, das wir aber persönlich kaum kannten. Meine Eltern mussten eine neue Sprache lernen (denn das Hochdeutsch unterschied sich sehr von den Brocken Deutsch, die in der Familie überlebt hatten). Für mich als Kind ging es leichter – ich fand schnell Freunde, wurde in der Schule bald heimisch. Doch meine Großeltern taten sich schwer: Sie vermissten manchmal die Weite der Steppe, das einfache Leben auf dem Land. Deutschland war anders – schneller, moderner.
Und so wuchs die Familie Patzer in Deutschland mit der Zeit gut ein. Wir behielten aber immer unsere besondere Geschichte im Herzen. Ich merkte das beispielsweise an den Gerichten, die bei uns auf den Tisch kamen – da gab es Borschtsch und Pelmeni neben Sauerkraut und Schwarzbrot. Unsere Familie ist ein kleines Stück gelebte Integration der Kulturen. Wir fühlten uns endlich frei, offen über unsere Vergangenheit zu sprechen, ohne Angst haben zu müssen.
Spannend war es auch zu entdecken, wie weit verstreut die Nachfahren der Familie Patzer heute leben. Durch Zufall erfuhren wir, dass entfernte Verwandte von uns schon in den 1970er Jahren nach Amerika ausgewandert waren. Ein Zweig der Familie landete in Kanada, ein anderer – so hörten wir – sogar in Kalifornien (USA). Die Nachricht, dass es Patzers in Sacramento gibt, hat mich sehr berührt. Es bedeutet, dass unsere Familie wirklich global verstreut ist: von den Dörfern in Krasnodar bis in die Neue Welt. Und doch verbindet uns alle der gemeinsame Name und die gemeinsamen Wurzeln. In Deutschland selbst gibt es ebenfalls mehrere Familien Patzer, die russlanddeutsche Wurzeln haben. Bei manchen konnten wir feststellen, dass wir tatsächlich weitläufig verwandt sind, bei anderen ist es vielleicht nur Zufall mit dem Namen – aber es fühlt sich trotzdem immer ein bisschen wie Verwandtschaft an, wenn man so eine ähnliche Geschichte teilt.
Heute leben die meisten direkten Nachkommen meiner Großeltern hier in Deutschland. Wir sind inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen: Wir arbeiten in ganz unterschiedlichen Berufen, die jüngeren sprechen Deutsch ohne Akzent, wir lieben dieses Land – und doch vergessen wir nie, welchen Weg unsere Familie zurückgelegt hat.
Persönliche Gedanken zum Schluss
Für mich ist die Geschichte unserer Familie Patzer mehr als eine Abfolge historischer Fakten – sie ist Teil meiner Identität. Wenn ich darüber nachdenke, was meine Vorfahren alles durchgemacht haben, erfüllt mich das mit Demut, Stolz und Dankbarkeit zugleich. Demut, weil ich mir bewusst mache, dass mein eigenes Leben in Freiheit und Sicherheit nur möglich ist, da Generationen vor mir Opfer gebracht und gekämpft haben – sei es durch die mutige Auswanderung ins Ungewisse oder das Durchhalten in Zeiten der Verfolgung. Stolz, weil ich sehe, wie viel Stärke und Zusammenhalt in unserer Familie steckt. Trotz Vertreibung, Verlust der Heimat und Neuanfang in der Fremde haben wir Patzers nie aufgegeben. Und Dankbarkeit, weil uns am Ende das gelang, wovon meine Großeltern ihr Leben lang geträumt hatten: Wir durften unsere Wurzeln wiederfinden und als Familie in Frieden in Deutschland leben.
Diese Familiengeschichte hat mich gelehrt, wie wichtig es ist, seine Wurzeln zu kennen. Sie gibt mir Halt. Wenn ich meinen Nachnamen schreibe oder ausspreche, schwingt für mich all das mit: Bohème, Bessarabien, Krasnodar, Sibirien, Deutschland – ein ganzer Kosmos an Erfahrungen, verdichtet in fünf Buchstaben: Patzer. Ich erzähle diese Geschichte hier in persönlicher Form, weil ich glaube, dass viele Russlanddeutsche ähnliche Erlebnisse in ihren Familien haben. Vielleicht liest jemand diesen Text und erkennt Parallelen zur Geschichte der eigenen Großeltern. Vielleicht stoßen entfernte Verwandte von uns darauf und denken: „Das klingt nach meiner Familie!“ Genau das wünsche ich mir.
Die Vergangenheit unserer Familie ist kein trockenes Kapitel in einem Geschichtsbuch, sondern ein lebendiges Erbe, das uns alle prägt, die wir den Namen Patzer tragen. Ich spüre manchmal förmlich die Hand meiner Ururgroßmutter auf meiner Schulter, wenn ich alte Familienfotos betrachte – als wollte sie sagen: „Erzähl unsere Geschichte weiter.“ Indem ich das hier tue, hoffe ich, ihr gerecht zu werden.
Zum Schluss bleibt mir noch ein Herzensanliegen: Unsere Familiengeschichte ist noch nicht zu Ende geschrieben. Vielleicht gibt es da draußen Menschen, die ebenfalls Patzer heißen oder mit uns verwandt sind, von denen wir gar nichts ahnen. Wie schön wäre es, verlorene Zweige der Familie wiederzufinden, Geschichten auszutauschen und das Puzzle unserer Herkunft noch vollständiger zu machen. Daher mein offener Aufruf an alle Leser:
Wenn du Patzer heißt oder mit unserer Familie verwandt bist – melde dich gern bei mir!